Wertstrom Teams: Wie kleine Unternehmen im Unternehmen Silos ersetzen
Wertschöpfung fließt, wenn Teams als eigenständige Einheiten mit klarem Purpose agieren
Viele Unternehmen erkennen inzwischen: Um Silos wirklich aufzubrechen, reicht es nicht, ein paar Prozesse anzupassen. Es braucht eine konsequente Orientierung an Wertströmen. Konkret bedeutet das, Teams so aufzustellen, dass sie ein Produkt oder einen Service von der Idee bis zum laufenden Betrieb verantworten. Solche Teams agieren wie kleine Unternehmen im Unternehmen: Sie haben einen klar definierten Kundennutzen, eigene Ziele und weitgehende Autonomie in Entscheidungen.
Worum geht es bei diesem Lösungsansatz?
Wertstrom Teams als Lösungsmuster bedeuten, die Organisation konsequent vom Kundenbedarf her auszurichten. Statt in Funktionen oder Abteilungen zu denken, stellt man die Frage: Welchen durchgehenden Fluss von Aktivitäten braucht es, um einen bestimmten Kundenwert zu liefern? An diesem Fluss orientiert sich dann die Struktur. Alle nötigen Kompetenzen, fachlich wie technisch, werden in einem Team gebündelt, das diesen Wertstrom möglichst von Anfang bis Ende betreut.
In vielen Branchen bedeutet das, dass Planung, Entwicklung, Betrieb und Weiterentwicklung in einer Hand liegen. In stark regulierten Umfeldern wie Finanzdienstleistungen oder Pharma gilt dies allerdings nur eingeschränkt. Dort schreiben regulatorische Vorgaben eine Trennung bestimmter Rollen oder Organisationseinheiten vor, etwa zwischen Entwicklung und Betrieb. Entscheidend ist deshalb, dass diese Rahmenbedingungen berücksichtigt werden und dennoch eine End to End Verantwortung entsteht, zum Beispiel durch gemeinsame Zielbilder, abgestimmte Rollen und eng verzahnte Zusammenarbeit.
Wichtig dabei: Jedes dieser Teams versteht sich als Dienstleister an einer klar definierten Zielgruppe mit einem eindeutig formulierten Mehrwert. So entsteht ein gemeinsamer Purpose, der tägliche Entscheidungen leitet. Dieses Muster schafft also Kundenzentrierung und unternehmerisches Denken auf Teamebene, zwei entscheidende Zutaten, um Silos aufzubrechen.
Was dieses Muster bewirkt
Mit wertstromorientierten Unternehmen im Unternehmen
verschwindet der Staffellauf zwischen Silos: Übergaben und Wartezeiten nehmen drastisch ab, da ein Team möglichst viele Wertschöpfungsschritte selbst durchführt
entsteht End to End Verantwortung: Es ist von Anfang bis Ende klar, wer für ein Vorhaben verantwortlich ist. Abschieben von Verantwortung wird durch gemeinsamen Outcome ersetzt
rückt der Kunde ins Zentrum: Jede Einheit hat direkten Draht zum Nutzer oder internen Kunden. Feedback fließt schneller zurück ins Team, Verbesserungen richten sich an realem Nutzen aus
steigt die Motivation im Team: Ein klarer Zweck und sichtbarer Erfolg beim Kunden stiften Sinn. Teams erleben mehr Autonomie und können stolz ihr Produkt verantworten
beschleunigt sich Lernen und Innovation: Da das Team den vollständigen Lebenszyklus überblickt, werden Probleme ganzheitlich angegangen. Kontinuierliche Verbesserungen und Experimente lassen sich leichter umsetzen, ohne an Abteilungsgrenzen zu scheitern
Typische Anwendungssituationen
Dieses Lösungsmuster hilft vor allem, wenn
das Unternehmen unter den klassischen Silosymptomen leidet: Fehlende Abstimmung, Wissensinseln, Zielkonflikte und niemand, der ganzheitlich Verantwortung trägt
„Projektitis“ herrscht: Viele Initiativen werden gestartet und abgeschlossen, aber danach fehlt die Zuständigkeit für Betrieb und kontinuierliche Weiterentwicklung
Teams nicht wissen, wer genau ihr Kunde ist oder welchen Wert ihre Arbeit stiftet. Unklare Zielgruppen und verwässerte Ziele deuten auf fehlende Purpose Ausrichtung hin
Führungskräfte zwar Agilität fordern, aber weiterhin in Abteilungsgrenzen denken. Das Pattern eignet sich, um eine Brücke zu schlagen: von top down gesteuerten Einheiten hin zu kundenzentrierten, eigenverantwortlichen Wertstrom Einheiten
Was braucht es, damit es wirkt
Damit die Umstellung auf Wertstrom Teams wirklich greift, sind einige Voraussetzungen und Erfolgsfaktoren wichtig:
Mut und Empowerment von oben: Das Management muss bereit sein, Kontrolle abzugeben und Vertrauen in die Teams zu setzen. Ohne diesen kulturellen Wandel, weg von Mikromanagement hin zu Empowerment, läuft das Muster ins Leere
Klar definierte Wertströme und Kunden: Zu Beginn steht die Arbeit, die richtigen Wertströme zu identifizieren. Welche Produkte oder Services liefern welchen Kundengruppen welchen Nutzen? Diese Zuschnitte bilden die Grundlage für die neuen Teams. Weniger ist hier mehr, lieber mit einigen zentralen Wertströmen starten
Cross funktionale Skills: Die Wertstrom Teams müssen alle Fähigkeiten vereinen, um ihren Auftrag erfüllen zu können. Das kann organisatorisch bedeuten, Leute aus verschiedenen bisherigen Abteilungen zusammenzuführen. Wichtig ist auch die Bereitschaft der Mitarbeiter, über den eigenen Tellerrand zu schauen und dazuzulernen
Transparenz und Flow Metriken: Wie im vorherigen Beitrag betont, braucht es sichtbare Arbeit und aussagekräftige Kennzahlen. Gemeinsame Boards pro Wertstrom, definierte Durchlaufzeit Metriken und einheitliche Begrifflichkeiten wie Projekt, Epic oder Feature machen Fortschritt und Engpässe greifbar und vergleichbar
Iteratives Vorgehen: Eine Organisation wandelt man nicht über Nacht um. Erfolgreiche Unternehmen beginnen mit Pilot Teams in wichtigen Wertströmen, sammeln Erfahrungen und skalieren dann nach und nach. Regelmäßige Retrospektiven helfen, aus Fehlern zu lernen und das Modell anzupassen
Methoden, Frameworks und Modelle
Folgende Ansätze haben sich bewährt, um die Umstellung strukturierter anzugehen und Silos systematisch durch Wertstrom Teams zu ersetzen:
Wertstromanalyse und Mapping: Mit Value Stream Mapping (unter anderem beschrieben von Karen Martin in ihrem Buch Value Stream Mapping) wird auf Führungsebene der gesamte Ablauf vom Kundenbedarf bis zur Lieferung visualisiert. Diese Helikopter Perspektive enthüllt, wo der Fluss stockt, ohne sich in zu kleinteiligen Prozessdetails zu verlieren. Wichtig: Nur Führungskräfte mit ausreichend Weitblick und Befugnissen sollten diese strategische Analyse durchführen – so stellt man sicher, dass aus der Soll Wertstrom Planung auch tatsächlich durchgreifende Verbesserungen folgen.
Flow Engineering: Mit Flow Engineering (beschrieben von Steve Pereira) steht ein modernes Framework zur Verfügung, das Lean Prinzipien mit agilen Workshop Methoden verbindet. In Mapping Sessions werden fünf zentrale Karten erstellt, um den Arbeitsfluss aus unterschiedlichen Blickwinkeln zu beleuchten. So decken Teams Abhängigkeiten, widersprüchliche Prioritäten und unausgesprochene Annahmen auf, die den Fortschritt bremsen. Das Ergebnis ist ein klarer Fahrplan mit konkreten Aktionen, der vom Team selbst entwickelt und getragen wird.
Produkt statt Projektorganisation: Dauerhafte Produktteams sind der Schlüssel. Gemeint sind stabile, interdisziplinäre Teams, die einen Produktwertstrom dauerhaft betreuen. Sie bauen, liefern, betreiben und optimieren. Verantwortung bleibt bestehen, anstatt nach Projektende im Nirvana zu verschwinden. Dieser Gedanke wird ausführlich in From Project to Product von Mik Kersten beschrieben und liefert wertvolle Argumente für den Umstieg.
Praxisbeispiel: Vom Workplace Management zur Wertstromorganisation
In einem meiner Projekte bei einem Automobilhersteller haben wir im Bereich Workplace Management eine umfassende Wertstromanalyse durchgeführt. Dabei stand der Mitarbeiternde selbst im Zentrum. Er wurde als Kunde betrachtet. Neben den originären Workplace Services rund um die Bereitstellung von Soft- und Hardware wurden deshalb auch alle Services betrachtet, die ein Mitarbeiter vom Eintritt ins Unternehmen, und bereits davor, bis zum Ausscheiden, und teilweise auch danach, benötigt. Dazu gehören zum Beispiel Schulungen, Gehaltsabrechnungen, die Kantinenabrechnung oder auch Fuhrparkleistungen.
Im ersten Schritt galt es daher zunächst die Zielgruppe zu spezifizieren. Unterschiedliche Mitarbeiter in unterschiedlichen Rollen, mit unterschiedlichen Beschäftigungsverhältnissen und in unterschiedlichen Phasen ihrer Laufbahn benötigen unterschiedliche Services. Diese Vielfalt sichtbar zu machen und zu strukturieren war die Grundlage für die anschließende Definition der Zielorganisation.
Ausgehend von der Ist Analyse haben wir gemeinsam mit den Verantwortlichen ein Zielbild entworfen. Dieses sah kleine, schlagkräftige und möglichst autark arbeitende Einheiten vor, die ihre Produkte und Services nicht nur bereitstellen, sondern auch betreiben und weiterentwickeln. Jede Einheit definierte ihre Zielgruppe und machte klar, welchen Mehrwert sie liefert. So bekam jedes Team einen eindeutigen Purpose.
Die Wirkung des Projekts zeigte sich bereits in der Phase der Zieldefinition: Entscheidungen konnten näher am Kunden gedacht werden, Durchlaufzeiten ließen sich in den Modellen deutlich verkürzen und die Verantwortlichkeiten wurden klarer.
Fazit
Der Weg aus den Silos gelingt nicht mit einem Big Bang. Er ist ein schrittweiser Wandel, der mit klarer Ausrichtung, konsequenter Dezentralisierung und echter End to End Verantwortung beginnt. Wertstrom Teams sind ein kraftvolles Muster, um diesen Wandel greifbar zu machen.
Unser Solution Pattern 1: Flow Orientierung liefert dafür die Prinzipien. Flow Engineering und Value Stream Mapping geben Werkzeuge, um Ist und Soll Bilder zu schaffen und die Schritte dazwischen zu gestalten. Und echte Praxisbeispiele zeigen: Wer konsequent Wertströme etabliert, gewinnt nicht nur Geschwindigkeit und Kundennähe, sondern auch Motivation und Verantwortungsbereitschaft in den Teams.