Warum viele Projektportfolios scheitern, bevor sie starten

Interessant ist, dass viele Unternehmen auch nach Jahren immer noch versuchen, ein komplexes Projektportfolio zentralistisch zu steuern. Das Ergebnis ist meist ernüchternd.

Der typische Ablauf sieht so aus: Im Juli des Vorjahres beginnt der Planungsprozess. Alle Fachbereiche werden gefragt, was sie im kommenden Jahr gerne umsetzen würden. (Die IT wird dabei übrigens häufig nicht als Auftraggeber, sondern als reiner Umsetzer gesehen.) Am Ende entsteht eine riesige Liste an Initiativen und der Versuch, alles gegen alles zu priorisieren.

Doch damit nicht genug. Selbst bei einem Gesamtvolumen von 100.000 Personentagen und mehr wird versucht, alle Themen kleinteilig und exakt einzuplanen, mit präzisen Aufwänden, Start- und Endeterminen sowie Abhängigkeiten. Sobald der mühsam erstellte Gesamtbedarf schließlich steht, wird klar: Es besteht ein massiver Ressourcen- und Budgetgap.

Dann beginnen die Kürzungsrunden. Weil alle Beteiligten dieses Spiel längst kennen, werden von Anfang an Puffer eingeplant. Richtig hart treffen die Streichungen die Neuen oder Ehrlichen.

Das eigentliche Problem

Oft wird das Projektportfolio nicht von den Bereichen verantwortet, die die Umsetzung und Priorisierung verstehen, sondern von Finanzcontrollern geplant.
Das führt zu einem Fokus auf Budgetlogik statt Wertlogik. Die Diskussion dreht sich um Kostenstellen statt Kundenwert, um Planbarkeit statt Anpassungsfähigkeit.

Hinzu kommt ein weiteres strukturelles Defizit: Die Verzahnung mit den strategischen Unternehmenszielen fehlt. Viele Portfolios existieren gewissermaßen im luftleeren Raum. Es gibt zwar eine Vielzahl an Projekten, aber keine klare Linie, wie diese auf die übergeordneten Ziele einzahlen sollen. Dadurch wird Steuerung zur reinen Verteilung von Mitteln, nicht zur Gestaltung strategischer Wirkung.

Gene Kim beschreibt diesen Gegensatz im Buch The Unicorn Project treffend als Unterschied zwischen finance-driven management und flow-driven management.

Während finance-driven Organisationen versuchen, Komplexität durch Kontrolle, Budgets und Genehmigungen zu beherrschen, schaffen flow-driven Organisationen Transparenz über Wertströme, treffen Entscheidungen dort, wo das Wissen ist, und fördern kontinuierliches Lernen.

Solange Unternehmen in einer finance-driven Logik verharren, optimieren sie lokal, verlieren aber systemisch an Wirksamkeit.

Was dabei verloren geht

In vielen Unternehmen fehlt es dem Projektportfoliomanagement an echter strategischer Wirksamkeit. Statt konsequent von den Zielen des Unternehmens her zu denken, wird häufig das geplant, was innerhalb bestehender Budgets und Kapazitäten gerade noch machbar erscheint. So entstehen umfangreiche Portfolios, die zwar gut dokumentiert, aber nur bedingt wirksam sind.

Gleichzeitig ist die Lernfähigkeit oft stark eingeschränkt. Anpassungen während des Jahres sind in den meisten Planungsprozessen nicht vorgesehen oder werden als Störung empfunden. Dadurch bleibt wertvolle Zeit ungenutzt, um auf neue Erkenntnisse oder veränderte Rahmenbedingungen zu reagieren.

Ein weiteres Problem liegt in der Verantwortung: Viele Fachbereiche liefern ihre Anforderungen ab, übergeben sie an die IT oder das Projektmanagement und ziehen sich anschließend aus der Verantwortung zurück. Damit fehlt die gemeinsame Ownership für das Ergebnis – und genau das verhindert, dass Portfolioarbeit zu einem echten Steuerungsinstrument wird.

Wie es besser geht

Ein wirksames Projektportfoliomanagement sollte nicht als jährlicher Budgetprozess verstanden werden, sondern als kontinuierlicher Entscheidungsprozess.
Das bedeutet Klarheit über Ziele, Kapazitäten und Wirkzusammenhänge statt Detaillisten an Wünschen. Es bedeutet Priorisierung entlang von Wertbeiträgen statt über starre Ranking-Tabellen. Und es bedeutet kooperative Steuerung zwischen Business, IT und Finance statt isolierte Planungslogiken.

Ein pragmatischer OKR-Ansatz kann helfen, Strategie und Umsetzung miteinander zu verbinden. Er schafft Transparenz über Ziele, macht Fortschritte messbar und erleichtert die laufende Abstimmung zwischen zentralen und dezentralen Einheiten.
Die Orientierung an klaren Objectives und messbaren Key Results ersetzt starre Planvorgaben durch gemeinsame Wirkungsausrichtung.

Oder einfacher gesagt: Ein gutes Portfolio wird nicht geplant, sondern fortlaufend geführt.

Learnings: Raus aus der Planungsfalle

Viele Unternehmen könnten ihre Portfoliosteuerung deutlich vereinfachen, wenn sie Planung und Steuerung in ein zentral-dezentral organisiertes Modell überführen würden. Ein solches Modell bedeutet, dass strategische Steuerung und Rahmenbedingungen zentral definiert werden, operative Priorisierung und Ressourcenentscheidungen aber dezentral dort stattfinden, wo das Wissen über Nutzen und Machbarkeit vorhanden ist.

Das funktioniert jedoch nur, wenn Vertrauen vorhanden ist. Zentrale Einheiten müssen darauf vertrauen, dass dezentrale Teams verantwortungsvoll entscheiden, im Sinne des Gesamtunternehmens und nicht nur lokaler Optimierung. Und die Organisation muss sich so aufstellen, dass diese Verantwortung auch tatsächlich übernommen werden kann, etwa durch klare Entscheidungsräume, transparente Zielsysteme und eine Kultur, die auf Lernen statt Kontrolle setzt.

Zentrale Einheiten behalten dabei eine wichtige Rolle, allerdings mit einem anderen Schwerpunkt. Sie sollten sich nicht auf die Detailsteuerung einzelner Themen konzentrieren, sondern auf die Steuerung von Abhängigkeiten zwischen den Bereichen, auf Transparenz über Ressourcen und Wirkzusammenhänge sowie auf die Synchronisierung der Gesamtstrategie.

Damit das Portfolio lebendig bleibt, braucht es außerdem regelmäßige Planungsrunden, zum Beispiel quartalsweise. In diesen Runden wird überprüft, ob Prioritäten, Ressourcen und Zielbeiträge noch passen oder angepasst werden müssen. Diese Routine ersetzt starre Jahresplanungen durch ein lernendes, anpassungsfähiges System.

Dadurch entstehen mehrere Vorteile:

  • Schnellere Entscheidungen, weil Einheiten innerhalb ihrer Leitplanken eigenständig priorisieren und anpassen können.
  • Höhere Aktualität, da regelmäßige Fortschreibung der Themen ein lebendiges Portfolio ermöglicht.
  • Weniger Overhead, weil die nächste Jahresplanung nur noch ein Snapshot der aktuellen Backlogs ist.
  • Mehr Ownership, weil Verantwortung für Prioritäten und Ressourcen dort liegt, wo Wert entsteht.
  • Bessere Abstimmung, weil zentrale Stellen das Zusammenspiel sichern, anstatt operative Kontrolle auszuüben.
  • Klare strategische Ausrichtung durch die Verknüpfung von OKRs mit Portfoliothemen.

Die folgenden fünf Schritte zeigen, wie Unternehmen ihr Portfoliomanagement pragmatisch und wirkungsorientiert weiterentwickeln können.

Vom Denken zum Tun: Fünf konkrete Schritte für ein wirksameres Projektportfoliomanagement

1. Strategie und Portfolio konsequent verknüpfen

Ziel: Projekte und Initiativen zahlen sichtbar auf Unternehmensziele ein.

Erste Schritte:

  • Sammle alle laufenden und geplanten Initiativen in einer Übersicht (z. B. Portfolio-Board oder Excel).
  • Ordne jede Initiative einem oder mehreren strategischen Zielen zu.
  • Markiere alle Vorhaben, bei denen diese Zuordnung fehlt.
  • Formuliere für jedes Ziel ein einfaches Objective und 2–3 messbare Key Results.
  • Überprüfe mit den Fachbereichen, welche Projekte tatsächlich auf diese Key Results einzahlen.

Ergebnis: Eine erste OKR-Mapping-Tabelle, die zeigt, wie gut das Portfolio strategisch ausgerichtet ist.

Unterstützende Methode: Strategy-to-Execution Map (OKR-Tree)
Ein Baumdiagramm oder Canvas, das zeigt, wie strategische Ziele (Objectives) über Key Results mit konkreten Initiativen verbunden sind.
Oben: Unternehmensziele
Mitte: Key Results
Unten: Projekte / Initiativen
→ So wird die „Linie der Wirkung“ sichtbar.


2. Planung als Lernprozess etablieren

Ziel: Planung wird zu einem regelmäßigen, leichtgewichtigen Anpassungsprozess.

Erste Schritte:

  • Plane einen festen quartalsweisen Termin für Portfolio-Reviews.
  • Lege ein klares Ziel für das Meeting fest: Überprüfung und Anpassung von Prioritäten und Kapazitäten.
  • Bereite ein einfaches Kanban-Board oder Dashboard vor.
  • Identifiziere gemeinsam, welche Initiativen fortgesetzt, gestoppt oder neu priorisiert werden müssen.
  • Kommuniziere die Anpassungen offen an alle Beteiligten.

Ergebnis: Ein lebendiges, adaptives Portfolio, das regelmäßig überprüft und angepasst wird.

Unterstützende Methode: Quarterly Portfolio Kanban (Portfolio Flow Board)
Ein Kanban-Board mit Spalten wie „Neu“, „In Bewertung“, „Gestartet“, „In Umsetzung“, „Fertig“.
Beim Review werden Initiativen verschoben oder gestoppt.
→ So entsteht ein kontinuierlicher Überblick über Fortschritt, Kapazitäten und Engpässe.


3. Verantwortung dezentralisieren, Vertrauen zentral stärken

Ziel: Entscheidungen dort treffen, wo Wissen und Expertise liegen.

Erste Schritte:

  • Identifiziere, welche Entscheidungen aktuell zentral getroffen werden, obwohl sie lokal besser aufgehoben wären.
  • Entwickle gemeinsam eine Entscheidungsmatrix („zentral / gemeinsam / dezentral“).
  • Vereinbare, welche Informationen dezentral bereitgestellt werden müssen.
  • Definiere klare Leitplanken: strategische Ziele, Budgetrahmen, Kapazitätsgrenzen.
  • Starte mit einem Pilotbereich und lerne aus den Erfahrungen.

Ergebnis: Ein klares Steuerungsmodell, das Vertrauen fördert und Entscheidungswege verkürzt.

Unterstützende Methode: Delegation Board (nach Management 3.0)
Ein Raster mit sieben Stufen der Entscheidungsverantwortung (von „Ich entscheide“ bis „Ihr entscheidet“).
→ So wird sichtbar, welche Entscheidungen dezentralisiert werden und wo gemeinsame Abstimmung nötig ist.


4. Transparenz über Abhängigkeiten schaffen

Ziel: Zentrale Steuerung konzentriert sich auf Schnittstellen und Engpässe statt auf Mikromanagement.

Erste Schritte:

  • Liste alle laufenden Initiativen und ihre wichtigsten Schnittstellen auf.
  • Erstelle eine einfache Abhängigkeitsmatrix: Wer hängt von wem ab?
  • Visualisiere die Zusammenhänge auf einem Board oder digitalen Tool.
  • Identifiziere die Top-5-Abhängigkeiten, die das Portfolio am stärksten beeinflussen.
  • Führe kurze Synchronisationsrunden ein, um genau diese Punkte regelmäßig zu klären.

Ergebnis: Ein gemeinsames Verständnis über systemische Abhängigkeiten und bessere Priorisierung.

Unterstützende Methode: Dependency Map oder Wertstromlandkarte
Eine Karte mit Initiativen als Knoten und Linien, die Abhängigkeiten zeigen.
Ergänze Symbole für Engpässe, Kapazitätskonflikte oder Verantwortlichkeiten.
→ Ideal, um komplexe Zusammenhänge intuitiv sichtbar zu machen.


5. Portfolioführung an Wirkung statt Aufwand ausrichten

Ziel: Entscheidungen werden auf Basis von Nutzen und Zielbeitrag getroffen, nicht nach Aufwand oder Kosten.

Erste Schritte:

  • Definiere 3–5 Kernmetriken, die Wirkung beschreiben (z. B. Kundennutzen, Zielbeitrag, Durchlaufzeit).
  • Ergänze jede Portfolioinitiative um diese Metriken.
  • Entwickle ein einfaches Outcome-Dashboard, das Fortschritt und Nutzenbeitrag zeigt.
  • Führe regelmäßig Reflexionsgespräche: „Was haben wir durch diese Initiative gelernt?“
  • Verankere Wirkungsmessung in den Portfolio-Reviews.

Ergebnis: Ein wertorientiertes Steuerungssystem, das Wirkung sichtbar und messbar macht.

Unterstützende Methode: Outcome Dashboard oder Impact Map
Ein Dashboard, das zeigt, wie Projekte auf Ziele einzahlen.
Links steht das Ziel, in der Mitte die Initiativen, rechts die messbaren Resultate.
→ Der Fokus verschiebt sich von Aktivität auf Wirkung.

Fazit

Ein modernes Portfoliomanagement ist kein Planungsritual, sondern ein lernendes System. Oder, in Anlehnung an The Unicorn Project: Wirkliche Steuerung bedeutet, den Fluss der Wertschöpfung sichtbar zu machen, nicht nur ihre Kosten.

Das gelingt nur, wenn Vertrauen vor Kontrolle steht und zentrale Einheiten lernen, Abhängigkeiten zu steuern statt Details zu kontrollieren. Ebenso wichtig ist die konsequente Verbindung zur Unternehmensstrategie. Erst wenn Projekte und Initiativen erkennbar auf die strategischen Ziele einzahlen, entsteht echte Steuerungsfähigkeit.

Ein pragmatischer OKR-Ansatz und regelmäßige Planungsrunden helfen, diese Verbindung lebendig zu halten. So wird aus statischer Jahresplanung ein kontinuierlicher Lern- und Steuerungsprozess.

Wer diesen Schritt geht, gewinnt an Transparenz, Anpassungsfähigkeit und Wirksamkeit und spart enorm viel Energie, die bislang in endlosen Abstimmungsrunden verpufft.